Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

„We are the Freedom“: Pla­kat­ak­tion des Design­stu­dios “Graf­prom” und „Office Ukraine“ in Graz

Ein Jahr nach der Inva­sion in die Ukraine erin­nern überall in Graz Pla­kate, die von Designer_innen des Charkiwer/Grazer Stu­dios Graf­prom gestaltet wurden, an die Grund­werte der Frei­heit und Men­schen­würde. novinki doku­men­tierte diese Aktion in Bil­dern und sprach vor Ort mit den Initiator_innen.

Bilder von Demons­tra­tionen am 24.02.2023 in Wien und Graz, © mrija_org (aus Wien), © Georgii Burda (aus Graz) und Pla­kat­ak­tion in Graz, © Mariya Donska

Der trau­rige Jah­restag der rus­si­schen Inva­sion in die Ukraine am 24.02.2023 wurde in einigen großen Städten Öster­reichs von einer Viel­zahl von Demons­tra­tionen, Dis­kus­sionen und Kunst­ak­tionen begleitet. In Graz hängten Designer_innen vom renom­mierten Charkiwer/Grazer Studio “Graf­prom” eine Serie von 24 Pla­katen an öffent­li­chen Plätzen der Stadt auf. Sie stehen unter dem Motto We are the Freedom und widmen sich Werten wie etwa Frei­heit, Mut, Würde und Einig­keit.  

Die Pla­kat­ak­tion basiert auf einer Kol­la­bo­ra­tion mit dem Schrift­steller Serhij Žadan [Serhij Zhadan] und ver­wendet Pas­sagen aus dessen Gedichten und Insta­gram-Pos­tings aus dem Jahr 2022. Auf Deutsch sind diese im Buch Himmel über Charkiw im Suhr­kamp-Verlag erschienen. Außerdem gibt es Sprüche, die von den Designer_innn selbst for­mu­liert wurden. Auf den Pla­katen erscheinen Text­bau­steine meis­tens auf Eng­lisch, die Anti­kriegs­be­we­gung ist inter­na­tional.  

Meh­rere Pla­kate zusammen ergeben dabei unter­schied­liche Wörter auf Ukrai­nisch – воля, свобода (Frei­heit) – und werden läng­lich als Fries oder als Rechteck auf geeig­neten, frei zugäng­li­chen Wänden plat­ziert. Die Künstler_innen planen nun, jede Woche eine neue solche ‘Wand’ zu gestalten. Durch die Prä­senz im öffent­li­chen Raum för­dert die Aktion eine Inter­ak­tion und aktive Par­ti­zi­pa­tion. Die Reak­tionen der Passant_innen auf die Pla­kate sind unter­schied­lich: Manche wurden bemalt oder mit eigenen Aus­sagen beschriftet, mit­unter wurden sie sogar abge­rissen.  

Das Pro­jekt wurde gemeinsam mit Office Ukraine. Shelter for Ukrai­nian Artists rea­li­siert. Das “Office Ukraine” ist eine Orga­ni­sa­tion, die nach dem Beginn des groß­flä­chigen Kriegs vom Zen­trum für zeit­ge­nös­si­sche Kunst “< rotor >” in Graz unter Lei­tung von Mar­ga­rethe Makovec und Anton Lederer ins Leben gerufen wurde. Sie ver­netzt in Öster­reich Schutz suchende Künstler_innen und Kul­tur­schaf­fende aus der Ukraine mit Insti­tu­tionen und Initia­tiven, die Unter­stüt­zung anbieten. Somit wird es vielen ver­trie­benen Künstler_innen aus der Ukraine ermög­licht, wei­terhin künst­le­risch tätig zu sein. Seit Beginn der Inva­sion konnte ca. 200 Kul­tur­schaf­fenden aus unter­schied­li­chen Berei­chen geholfen werden. Von­seiten der Politik wurde die Aktion von den Grazer Grünen, die die Vize­bür­ger­meis­terin stellen, unter­stützt.  

Pla­kate “We are the Freedom” in Graz, © Mariya Donska

Mariya Nora­zyan und Illya Pavlov von Graf­prom leben seit 2019 in Graz. Ihr Design­studio blickt auf eine lange Tra­di­tion der Zusam­men­ar­beit mit dem in Charkiw lebenden Schriftsteller Serhij Žadan zurück. Bereits 2015 gab es eine Aktion Дія/Лог (Dija/Log) mit Pos­tern im öffent­li­chen Raum Char­kiws, die Gedichte Žadans zitierte. Später wurden diese Pla­kate in Öster­reich im Lite­ra­tur­haus Salz­burg und der Kultur bei den Mino­riten in Graz aus­ge­stellt.

Pla­kat­ak­tionДія/Лог in Charkiw 2015, © Graf­prom

Plakat 1: Наші страхи примарні, наче сніги unsere Ängste seien ein­ge­bildet wie Schnee
Plakat 2: Розуму всім щасливим. Радості всім нещасним.Ver­stand allen Glück­li­chen. Freude allen Unglück­li­chen.
Plakat 3:
Наші діти, Маріє, ростуть, ніби трава: / чорні робочі долоні, стрижена голова, / зранку стоять на зупинках, неприкаяні, як пірати – / тимчасова адреса, країна напівжива“  Unsere Kinder, Maria, wachsen wie Gras: / schwarze Arbei­ter­hände, kurz­ge­scho­renes Haar, / so sie stehen mor­gens an den Hal­te­stellen, unbe­haust wie Piraten – / pro­vi­so­ri­sche Adresse, das Land halb lebend.
Plakat 4:
Доведеться змиритися з тим, / що все мине. / Доведеться не говорити / про важливе та головне, / доведеться боятись свободи, / триматися меж. / Щастя не оминеш. / Щастя не оминеш. Darum heißt es, sich damit abzu­finden, / Dass alles ver­geht. / Darum heißt es, nicht zu spre­chen / Über das Wich­tige und Vorder­grün­dige, / Darum heißt es, die Frei­heit zu fürchten / Die Grenzen zu respek­tieren. / Am Glück kommt keiner vorbei. / Am Glück kommt keiner vorbei.
(Über­set­zung
aus dem Ukrain.: Claudia Dathe)

Im fol­genden Gespräch erzählen die Graf­prom-Desi­gner_innen Mariya und Illya, wie es zu den Pla­kat­ak­tionen kam. 

Designer_innen des Stu­dios Graf­prom Illya Pavlov und Mariya Nora­zyan, © Mariya Donska.

Mariya Donska: Wer hat sich das Pro­jekt aus­ge­dacht? 

Mariya Nora­zyan: Gute Frage, eigent­lich. 

Illya Pavlov: Wer hat sich das aus­ge­dacht. Na ja, wir wurden pro­vo­ziert.  

MN: Ganz genau! 

IP: Unsere Freunde aus Charkiw haben uns auf die Idee gebracht. Sie heißen Pride Bikes“, machen Fahr­räder und sind ein wich­tiges Zen­trum der bike com­mu­nity in Charkiw und in der Ukraine. Sie wollten eine Aktion machen, um Ukrainer_innen in Zeiten des Krieges zu unter­stützen, um die Moral hoch­zu­halten, ein­ander zu ermun­tern.  

MN: Eine Unter­stüt­zungs­ak­tion für Ukrainer_innen. 

IP: Alle hatten den Ein­druck, wir müssen etwas tun. Natür­lich waren alle als Frei­wil­lige tätig, für die Streit­kräfte oder haben Geld für Medi­ka­mente für ältere Men­schen gespendet usw.  

MN: Aber man musste auch etwas für den Geist tun, für die Men­schen, die etwa Rad fahren und ihren aktiven, krea­tiven Geist aus der Zeit vor diesem Krieg bewahren wollten.  

IP: Jetzt haben wir das fast ver­gessen, aber wir hatten damals [im Früh­ling 2022] das Gefühl, dass man im Krieg z.B. nicht zum Spaß Fahrrad fahren durfte. Man musste immer etwas für den Sieg tun.  

MN: Die Leute haben es sich ver­wehrt, Spaß zu haben, Zeit für sich zu haben.  

IP: Wir hatten dieses Gefühl sogar hier in Öster­reich, aber dort in der Ukraine war es natür­lich nicht anders. Und irgend­wann haben wir ver­standen, dass es so nicht wei­ter­geht, dass es nichts bringt, weil alle zum Burnout neigten. Sehr schnell ver­lassen einen die Kräfte und man muss die eigenen Res­sourcen wieder erneuern. Und diese bike com­mu­nity hat mit uns ein Pro­jekt gemacht, wo es Texte von ihnen gab, dar­über, dass sie trotzdem wei­ter­leben möchten, lieben möchten, lachen möchten und dies auch tun werden. 

MN: Trotzdem leben – selbst in Zeiten des Krieges. 

IP: Ja, obwohl der Krieg andauert und uns jemand dieses Leben weg­nehmen möchte.  

MN: Die Aktion star­tete in Charkiw, unge­fähr zehn Leute waren dabei, alle mit Fahr­rä­dern, und sie haben diese Pla­kate an Fenster gehängt, die durch Bom­ben­an­griffe in Mit­lei­den­schaft gezogen wurden. Die Fenster wurden mit Span­holz­platten zuge­na­gelt und auf diese Platten wurden die Pla­kate gehängt. Das war im Juni. 

Die Aktion mit Pride Bikes in Charkiw, © Pride Bikes

MD: Aber hier in Graz gab es auch eine Kam­pagne? 

IP: Ja, es gab noch eine andere Kam­pagne, näm­lich Graz stands with Ukraine. Aber diese Aktion heute ist sozu­sagen eine ‘Inkar­na­tion’ der ersten Char­kiwer Kam­pagne, wo wir mit einer schwarz-weißen visu­ellen Sprache gear­beitet haben. 

MD: Warum schwarz-weiß? 

MN: Das ist sehr günstig und sehr prak­tisch.  

IP: Schnell, prak­tisch und gut zu sehen.  

MN: Die Stadt ist visuell oft sehr noisy, in diesem visu­ellen Lärm sind schwarz-weiße Pla­kate am besten zu sehen.  

IP: Ja, schwarz-weiß sam­melt und macht die Umge­bung ruhiger..  

MD: Wie ist die Aus­stel­lung nach Graz gekommen? 

IP: Mar­ga­rethe Makovec aus der Galerie < rotor > und Nastia Khle­s­tova von Office Ukraine haben uns ein­ge­laden und gesagt, sie möchten etwas zum Jah­restag der Inva­sion machen, um die Gesell­schaft daran zu erin­nern. Sie wollten ein Plakat mit Texten von Žadan für die Fas­sade der Galerie haben. Wir haben gesagt „Kein Pro­blem, wir haben 24 Pla­kate”.  

MN: Illya hat diese Pla­kate Mar­ga­rete gezeigt und sie meinte „Ja, genau das brau­chen wir“. Aber der Text war ein anderer, auf Ukrai­nisch. Wir haben dann fast alle Texte neu gemacht. 

MD: Sind das Texte von Žadan, die dieses Jahr ent­standen sind? 

MN: Ja, seine Auf­zeich­nungen von Insta­gram, aber auch Gedichte, kurze Aus­schnitte daraus. […] 

MN: Nachdem wir über­ein­ge­kommen sind, ging alles ganz schnell, daher sage ich auch, dass das Manage­ment dieses Pro­jekts quasi ‘ukrai­nisch’ war. Wir haben die Pla­kate sehr schnell gestaltet, dann wurden sie gedruckt und am Samstag haben wir sie bereits gemeinsam mit der ukrai­ni­schen Com­mu­nity, mit ukrai­ni­schen Künstler_innen hier in Graz auf­ge­hängt. Das waren etwa zehn Leute, dar­unter auch eine sehr nette Öster­rei­cherin, die uns geholfen hat. Für Men­schen war es auch wichtig mit­zu­helfen, inter­es­sant und ange­nehm, wie sie sagten. Darin besteht die gegen­sei­tige Unter­stüt­zung der ukrai­ni­schen Com­mu­nity. 

MD: … gemeinsam Pro­jekte machen? 

IP: Ja, eine Art The­rapie. 

MN: Team­buil­ding, könnte man sagen. Und auch eine Zusam­men­ar­beit auf ukrai­ni­sche Art. 

Auf­hängen der Pla­kate in Graz, © Mariya Donska

MD: Warum diese Wörter свобода (svo­boda) und воля (volja), die beide Frei­heit bedeuten? 

IP: Das sind doch die wich­tigsten Werte, um die hier gekämpft wird. 

MN: Ja, das sind Werte, die durch unsere Taten ver­wirk­licht werden.  

MD: Wenn man z.B. von der Brücke run­ter­schaut, dann sieht man das Wort свобода und weiß nicht, ob es auf Ukrai­nisch oder auf Rus­sisch ist. Ist es absicht­lich so? 

IP: Ja, aber man sieht das Staats­wappen.  

MD: Das auf jeden Fall! Aber ihr ver­wendet zwei Wörter für ‘Frei­heit’. 

MN: Ja, sie ver­halten sich etwa zuein­ander wie liberty und freedom.  

IP: Und gleich­zeitig ist воля auch der Wille, es geht also um das Aktiv­werden. Die Frei­heit ist wichtig, aber im Wort воля steht auch noch der Wille das zu tun, kon­krete Schritte zu setzen, es zeigt, dass diese Men­schen gewillt sind, diese Frei­heit zu haben („воліють мати свободу“), gewillt sind, um sie zu kämpfen. 

MN: So wie in der ukrai­ni­schen Hymne, dort gibt es auch beides. Die visu­ellen Ele­mente – diese Wörter z.B. – gab es bereits im Char­kiwer Pro­jekt, das aber andere Texte ver­wen­dete. 

MD: Ich habe auch die Drei­ecke beim Wort “воля” bemerkt. Ist es so, dass sie auch bei diesem berühmten Pro­jekt mit der Stra­ßen­bahn ver­wendet wurden? 

Stra­ßen­bahnen und Busse zur Unter­stüt­zung der Ukraine in Wien, Vil­nius und den Haag mit dem Design des Graf­prom-Stu­dios, © Grafprom

P: Ja, und weißt du, warum? Weil dies das ukrai­ni­sche Grafik-Gen ist.  

MN: Das sind eigent­lich Son­nen­blu­men­kerne. 

IP: Die gehen zurück auf Heorhij Narbut. Er war zur Zeit der Ukrai­ni­schen Volks­re­pu­blik (der unab­hän­gige ukrai­ni­sche Staat von 1917–1921, Anm. MD) sehr aktiv. 

Der Buch­stabe „Я“ von „воля“, © Grafprom

MN: Er war so etwas wie der Haupt­künstler der Ukrai­ni­schen Volks­re­pu­blik. Er gestal­tete Geld und Brief­marken. Mit diesen Drei­ecken hat er die Volks­sym­bolik umge­staltet. 

IP: Ich sehe darin auch ein Symbol für die ukrai­ni­sche Gesell­schaft, weil sie eine ähn­liche Struktur hat, eine hori­zon­tale Struktur ohne Hier­ar­chie. Eine demo­kra­ti­sche Struktur. Sogar die Kosaken hatten zwar eine Hier­ar­chie, waren aber sehr demo­kra­tisch orga­ni­siert. 

MD: Was gibt es noch an Kon­zepten, die man nicht auf den ersten Blick sieht? 

IP: Wir ver­wenden den Satz „Our hearts are made to break free“. Das ist ein Wort­spiel: Die Herzen schlagen nicht ein­fach so, sie schlagen für die Frei­heit. Die Worte ‘schlagen’ und ‘kämpfen’ sind auf Ukrai­nisch gleich („битися“). Wir sagen „The heart is brea­king“, aber ukrai­ni­sche Herzen, sie sind nicht ein­fach „brea­king“, son­dern „brea­king free“.  

MN: In diesem Bild ver­steckt sich ein Zitat von Žadan („коли сердце відчувається / так гостро, / ніби воно не просто б’ється. / А б’ється з кимось. / Б’ється за тебе“ [„Wenn das Herz zu spüren ist / so heftig, / als ob es nicht ein­fach schlüge, / son­dern es kämpft mit jemandem / kämpft um dich“ – M.D.]) In diesen Pla­katen geht es eben um die Frei­heit, das Herz. Wir wollten, dass diese Pla­kat­ak­tion sehr mensch­lich ist, human. Das ist keine abs­trakte Frei­heit, das sind nicht nur Slo­gans, derer wir bereits über­drüssig sind, es geht um kon­krete Men­schen, die das tun. Sie stehen im Zen­trum.  

[…] 

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Das Inter­view wurde von Mariya Donska auf Ukrai­nisch geführt, von ihr über­setzt und für diese Ver­öf­fent­li­chung gekürzt. Die Bilder zur Demons­tra­tion und Pla­kat­ak­tion in Graz stammen von der Autorin. Das Bei­trags­bild ist von Eli­sa­beth Bauer und bildet mit den anderen Bei­trägen des Ukraine-Spe­zials eine Ein­heit in Form der Foto­serie “Ukrai­ni­sches Berlin: Die Stadt als gelb-blauer Sym­bol­raum”.