Redak­tion „novinki“

Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin
Sprach- und lite­ra­tur­wis­sen­schaft­liche Fakultät
Institut für Slawistik
Unter den Linden 6
10099 Berlin

“We make it Europe.”

“Drive, Sleep, Drive, Sleep, Load, Unload, Drive, Sleep.” – Peter Triest (Regie und Dreh­buch) bildet mit “A Parked Life” (2022) den mono­tonen Alltag, die Ein­sam­keit und die Sehn­sucht eines bul­ga­ri­schen Fern­fah­rers ab und schickt uns dabei auf eine Reise durch Europa. 

 

Lange Blicke aus dem Fenster, vor­bei­flie­gende Land­schaften und Orte, schnelles Ein- und Aus­laden, kurze Gespräche mit Fremden, Tele­fo­nate mit der Familie und fahren, fahren, fahren: Das ist Petar Doy­chevs Leben.

Um für seine Familie zu sorgen und seinem Sohn Jordan eine bes­sere Zukunft zu ermög­li­chen, ist er mona­te­lang auf den Auto­bahnen Europas unter­wegs. Petar steht unter per­ma­nentem Druck. Er ver­sucht trotz der Distanz für seine Ehe­frau und sein Kind prä­sent zu sein, merkt aber, dass die Video­an­rufe oft nicht genügen. An Rast­plätzen tauscht er sich mit anderen Fern­fah­rern aus. Sie alle regis­trieren, wie ihnen die Zeit durch die Finger rinnt, wäh­rend sich ihr eigent­li­ches Leben mit Familie und Freund:innen ganz woan­ders abspielt. Schließ­lich stellt einer von ihnen ernüch­tert fest: “I have wasted my life away in that truck.”

Mit Fein­ge­fühl und Genau­ig­keit gelingt es dem Regis­seur Peter Triest die all­täg­li­chen Her­aus­for­de­rungen von Petar Doy­chevs Leben im Truck ein­zu­fangen und fil­misch umzu­setzen. Die vielen Groß- und Nah­auf­nahmen machen mit der Mimik und Gestik des Prot­ago­nisten ver­traut. Trauer und Sehn­sucht sowie die sel­tenen Momente des Glücks und der Freude sind ihm klar vom Gesicht zu lesen. Einige Pas­sagen im Film wurden zudem mit Hand­ka­meras auf­ge­nommen, diese wirken beson­ders rea­lis­tisch. Oft werden die Zuschauer:innen so quasi auf dem Bei­fah­rer­sitz plat­ziert. Unter diese Sequenzen mischen sich groß­flä­chige Land­schafts­auf­nahmen, die die Viel­sei­tig­keit Europas zeigen. Es ist ein Spiel aus Nähe und Distanz, wel­ches Petar Doy­chev nie aus dem Fokus ver­liert, zugleich aber die Gele­gen­heit bietet, das Gese­hene in grö­ßerem Kon­text zu hin­ter­fragen: Ist Europa nur ein Netz aus Auto­bahnen? Ein öko­no­mi­scher, gesell­schaft­li­cher Ver­bund? Eine Union der sozialen Gegen­sätze? Petar stellt fest: “I think Europe only exists on the motorway. Wit­hout us con­nec­ting the pieces, it’s just countries.”

Der Doku­men­tar­film über­zeugt mit der Dar­stel­lung von Kon­trasten, von Sommer zu Winter, von hell zu dunkel, von laut zu leise. In einer Szene ist Petar laut lachend und spie­lend mit seinem Sohn Jordan am Strand zu sehen, in der nächsten ist er allein und starrt durch die Wind­schutz­scheibe auf die nächt­liche Schnee­land­schaft. Beson­ders in den Momenten der Stille, maximal begleitet von den Geräu­schen des Last­wa­gens oder dem dumpfen Lärm der Auto­bahn, wird Petars Ein­sam­keit greifbar.

“A Parked Life” ist eine sub­tile Doku­men­ta­tion mit beein­dru­ckenden Bil­dern, die ein Por­trait von Europa durch die Augen eines Men­schen zeigt, der im basalen Sinn Ver­bin­dungen her­stellt. Die dabei ent­ste­hende räum­liche Distanz zwi­schen Petar und seiner Familie führt zu einer emo­tio­nalen Zer­reiß­probe und stellt seine Ehe auf die Probe. Werden sich die Hoff­nungen und Wün­sche erfüllen, die er an seinen Job als Tru­cker knüpft oder wird ihn die Iso­la­tion und Sehn­sucht übermannen?

 

Triest, Peter: A Parked Life, Bel­gien / Nie­der­lande, 2022, 75 Min.